Widerspruch gegen Thomas Fischer: Keine Schuldfeststellung im Loveparade-Verfahren

Kanzlei Plan A - Kanzlei für Strafrecht - Rechtsanwalt Dr. Ingo Bott im Loveparade-Verfahren mit seinem Mandanten

Am 04.05.2020 endete das sog. Loveparade-Verfahren gegen drei Angeklagte mit einer Verfahrenseinstellung ohne Auflagen nach § 153 Abs. 2 StPO. Bereits am 06.02.2019 war, ebenfalls ohne Auflagen, das Verfahren gegen sieben weitere Angeklagte eingestellt worden.

Einen dieser Angeklagten haben die Plan A-Anwälte Dr. Ingo Bott und Dr. Maximilian Kohlhof verteidigt. Das erreichte Ergebnis halten sie für gut und richtig. Es ist ihnen wichtig, dass es richtig eingeordnet wird. In der aktuellen SPIEGEL-Kolumne durch Thomas Fischer ist das nicht der Fall (https://www.spiegel.de/panorama/justiz/nsu-und-loveparade-strafgerichte-sind-keine-wahrheitskommissionen-a-b1674308-d667-4aa3-9634-10b4e2cc7aa8). Es ist daher Widerspruch angebracht.

Auch Richterikonen irren: Wenn rechtliche Einordnungen zu kurz ausfallen

Die Regelung in § 153 Absatz 1 Satz 1 StPO (die nach Abs. 2 S. 1 auch gilt, wenn das Hauptverfahren läuft) heißt: „Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht.“ Der Konjunktiv ist wichtig. Die Einstellung betrifft eine Schuld, die als gering anzusehen wäre. Nicht eine Schuld, die als gering anzusehen ist.

Thomas Fischer schreibt dazu aber (leider): „Das Landgericht Duisburg hat getan, was es konnte. Ernsthafte Zweifel daran, dass es sich um detaillierte Aufklärung bemüht hat, bestehen nicht. Es hat festgestellt, dass die persönliche, individuelle Schuld der Angeklagten sehr gering ist.“

Der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer wird zu Recht für seine Gedankenschärfe geschätzt. Sein Standardkommentar zum Strafgesetzbuch kommt bei Plan A – Kanzlei für Strafrecht fast täglich zum Einsatz. Seine Kolumne auf SPIEGEL Online verfolgt nicht nur das Team von Plan A, auch viele andere lesen die Texte mit großem Interesse. Sie sind für zahlreiche Leser eine Orientierungshilfe in der Welt des Rechts. Umso wichtiger ist es, dass sie inhaltlich richtig sind. Diesmal ist das nicht so.

Der feine Unterschied: Warum ist das überhaupt von Interesse?

Wird ein Strafverfahren eingestellt, endet es. Eine gerichtliche Entscheidung in Form eines Urteils bleibt aus. Nur ein solches Urteil (als Verurteilung) kann allerdings eine Schuldzumessung beinhalten. Endet das Strafverfahren schon vorher, ist keine Schuld festgestellt.

„Ist oder wäre“, könnte man fragen – ist das denn so wichtig? Das Verfahren ist schließlich eingestellt. Kann man es damit nicht gut sein lassen? Ganz klare Antwort: Das kann man nicht. Die große Bedeutung des kleinen Unterschieds wird deutlich, wenn wir uns denen zuwenden, um die das gesamte Verfahren kreiste: den Angeklagten. Sieben Menschen haben 101, drei andere zusätzliche 82 Verhandlungstage auf der Anklagebank verbracht. Die Überschriften waren drastisch: Verhandelt wurde der Tod von 21 Menschen, die Verletzung hunderter. Es handelte sich, je nach Medienberichterstattung, um einen „Jahrhundertprozess“, das „aufwendigste Verfahren der Nachkriegszeit“. Die Angeklagten standen im Fadenkreuz.

In Deutschland sind Strafverfahren öffentlich. Wer wollte, konnte die Menschen auf der Anklagebank sehen, ihre Namen hören. Teilweise standen diese Namen in den Medien. Teilweise gab es dazu Fotos. Es gehört zu den Pflichten eines Angeklagten, das zu ertragen. Sein schwacher Trost ist die Versicherung seitens der Rechtsordnung, dass ja die Unschuldsvermutung bis zu einer Verurteilung unangetastet bleibe. Dann gilt das aber erst recht, wenn es gar keine Verurteilung gibt. So ist es hier. Die Angeklagten gelten nicht nur als unschuldig. Sie sind es.

Natürlich ist die Kolumne von Thomas Fischer nicht absichtlich falsch. Nur die Wertung ist etwas verrutscht. Gerade weil das so ist, bedarf es dieses Widerspruchs. Allzu leicht verschwimmen die Nuancen zwischen dem, was das Recht sagt und dem, was wir sagen. Wenn wir allein auf das Ergebnis eines Prozesses sehen, mag das für uns keinen großen Unterschied machen. Wenn wir uns in einen Angeklagten versetzen, sieht das schnell ganz anders aus. Wessen Schuld nicht feststeht, der gilt als unschuldig. Unsere Rechtsordnung gesteht das zu. Wir sollten das auch tun.

Ergänzung:

Spiegel Online korrigiert nach kritischer Anmerkung von Rechtsanwalt Dr. Ingo Bott den Kommentar des Rechtswissenschaftlers und ehemaligen BGH-Richters Thomas Fischer zum Ausgang des Loveparade-Verfahrens.

Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Ingo Bott

Dr. Ingo Bott
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