Verwertbarkeit von EncroChatdaten – Licht am Horizont?

Worum geht es?

Für die Ermittlungsbehörden war es wie im Schlaraffenland. Nachdem es französischen Behörden im Frühjahr 2020 gelang, den als abhörsicher vermarkteten EncroChat-Messengerdienst zu knacken, gelangten die hierbei gewonnenen Erkenntnisse schnell an deutsche Strafverfolgungsbehörden. Da sich die Nutzer der Kryptohandys sicher fühlten, wurden ohne Bedenken sensibelste Informationen ausgetauscht, die den späteren Tatvorwurf zementierten und die ansonsten gerade in Verfahren aus dem Bereich der organisierten Kriminalität schwierige Beweisführung kinderleicht machten.

In der Folge kam es zu Ermittlungen mit bisher unvorstellbarem Ausmaß. So spricht das BKA im Jahr 2021 von 2.250 eingeleiteten Ermittlungsverfahren auf Basis der erhaltenen EncroChatdaten. Diese Verfahren stammen häufig aus dem Bereich der Betäubungsmittelkriminalität, gewaltige Mengen an Drogen wurden sichergestellt, zum Teil im Tonnenbereich. Inzwischen kam es zu zahlreichen Verurteilungen, in der Regel zu mehrjährigen Freiheitsstrafen.

Dürfen die das?

Da die Qualität der gewonnen Daten teilweise einem (ungewollten) Geständnis gleicht, konzentrierte sich die Verteidigung in den sog. EncroChatverfahren von Beginn an darauf, aufzuzeigen, dass die gewonnenen Erkenntnisse nicht vor Gericht verwertet werden dürfen. Ein Gericht darf sein Urteil nicht auf alles stützen, was es weiß. Vereinfacht gesagt gilt: Nur wenn die Informationen auch rechtmäßig erlangt wurden, sind sie verwertbar. Gerade im Bereich der Telekommunikationsüberwachung bestehen dabei hohe Hürden. Eine Überwachung darf grundsätzlich nur dann erfolgen, wenn ein Gericht diese Maßnahme zuvor angeordnet hat, wobei das nur bei gewissen, vom Gesetzgeber als schwer empfundenen Straftaten, zulässig ist. Hinsichtlich dieser Straftaten muss ein (qualifizierter) Tatverdacht bestehen, und zwar vor Beginn der Abhörmaßnahmen. Nicht erst danach.

Wo liegt das Problem?

Bei der Frage der Verwertbarkeit der EncroChatdaten in deutschen Strafverfahren stellen sich zahlreiche Rechtsfragen. Sind die Daten in Frankreich rechtmäßig erlangt worden? Hätten sie nach Deutschland übermittelt werden dürfen? Lag vor der Erhebung schon ein Tatverdacht gegen die betroffenen Personen vor, der eine Abhörmaßnahme überhaupt erst rechtfertigen kann?

Auf und ab in der Rechtsprechung:

Gerichte denken vom Ergebnis her. Wer schwere Straftaten begeht, mit Heroin im Kilogrammbereich handelt oder gar Auftragsmorde plant, entwickelt sich selten zum Liebling der Justiz. Insofern ist menschlich durchaus nachvollziehbar, dass zahlreiche Gerichte  die Frage der Verwertbarkeit bisher bejahten. Abweichend von der übrigen Rechtsprechung beschloss das Landgericht Berlin in einem aufsehenerregenden Beschluss vom 01.07.2021 (Az.:(525 KLs) 254 Js 592/20 (10/21)), dass die gewonnenen Erkenntnisse nicht verwertbar sind. Denn die Datenabschöpfung sei unter Missachtung individualschützender Rechtsvorschriften und insbesondere ohne den erforderlichen qualifizierten Tatverdacht (vor der Abschöpfung) erfolgt.

Als die Staatsanwaltschaft schon fürchtete, ihr würde die Butter vom Brot genommen, kam das Kammergericht Berlin zur Hilfe und erkläre die Nutzung der gewonnenen Beweismittel für zulässig. Ob die Maßnahmen in Frankreich selbst zulässig gewesen sind, sei deren Bier bzw. Wein. Einer Verwendung in deutschen Strafverfahren stünde das jedenfalls nicht entgegen. Und der erforderliche Tatverdacht ergebe sich jedenfalls aus den Gesamtumständen der  Nutzung von EncroChat-Geräten, die teuer waren und „geheim“ vertrieben wurden (KG v. 30.08.2021 – 2 Ws 79/21, 2 Ws 93/21 – 161 AR 134/21). Die Logik ist dabei nicht ganz von der Hand zu weisen. Wer verschlüsselte Kryptohandys verwendet, tut das in der Regel nicht, um seiner Mutter heimlich Grüße zum Muttertag zu senden.

Auch der Bundesgerichtshof entschied schließlich in einem sehr knappen Beschluss, dass die Verwertung der gewonnenen EncroChatdaten zulässig sei (BGH v. 08.02.2022 – 6 StR 639/21).

Frischer Wind aus Frankreich:

Vielen Betroffenen gibt nur eine Entscheidung aus Frankreich, dem Land, in dem das ganze Unheil seinen Anfang nahm, Hoffnung. Am 11.10.2022 entschied das französische Kassationsgericht, dass die Verwertung der Encrochatdaten in Frankreich selbst nicht zulässig sei, solange nicht bestimmte Dokumente durch die Ermittlungsbehörden vorgelegt werden.

Der Plan A: Durchatmen und wach bleiben

Für viele der inzwischen rechtskräftig Verurteilten kommt die Entscheidung aus Frankreich zu spät. Ihnen bleibt nur die Hoffnung, dass die Frage der rechtmäßigen Beweisverwertung durch das Bundesverfassungsgericht geklärt wird. Und die bittere Erkenntnis, das nächste Mal auf einen anderen Anbieter setzen zu müssen.

In laufenden Verfahren bietet die Entscheidung aus Frankreich jedoch  neue  Hoffnung. Sofern der BGH darauf hinweist, die Rechtmäßigkeit der Ermittlungsmaßnahme sei grundsätzlich an den Rechtsvorschriften des Staates zu messen, der die entsprechenden Maßnahmen durchgeführt habe (BGH v. 02.03.2022 – 5 StR 457/21), muss er sich auch daran halten. Im Klartext bedeutet das, dass in Frankreich rechtswidrig erlangte Beweismittel nicht in deutschen Strafverfahren verwendet werden dürfen.

Darüber hinaus weist trotz vieler Gemeinsamkeiten jedes Verfahren individuelle Eigenschaften auf und bietet neben der Strategie, die Verwertbarkeit der Beweismittel anzugreifen, oft noch andere Angriffspunkte. Zudem ist genau zwischen den verwendeten Kryptohandys und der Art der Erkenntnisgewinnung zu unterscheiden. Im Fall von ANOM Handys hat beispielsweise das FBI möglichen Straftätern eine Falle gebaut und abhörbare Handys selbst vertrieben. Ob diese Erkenntnisse durch Gerichte verwertet werden, ist noch völlig  offen.  Was  auch  immer  kommen  mag.  Wir  sind  immer  gerne  für  Sie  da, #wennmalwasist.

Autoren und Ansprechpartner:

  • Rechtsanwalt Dr. Joshua Christmann 
  • Rechtsreferendar Robin Ramsahye

DR. JOSHUA CHRISTMANN
RECHTSANWALT | ASSOCIATE

Plan A – Kanzlei für Strafrecht

Robin Ramsahye
Rechtsreferendar

Plan A – Kanzlei für Strafrecht